Grüne Projekte und urbane Visionäre

Pflanzen verbindet: Urban Gardening in Berlin

Auch wenn der deutsche Schrebergarten nicht wegzudenken ist: wer der Meinung ist, dass es in Berlin keinen Platz für alternative Anbaumöglichkeiten gibt, liegt falsch. Wie gut öffentliche Mitmach-Gärten funktionieren können, zeigt das Himmelbeet im Wedding. Es ist ein Treffpunkt für Anwohner und Besucher, die dort gemeinsam Obst und Gemüse anbauen. Die Erträge versorgen entweder die Mitglieder, das garteneigene Low-Waste-Café oder werden vor Ort verkauft und die Einnahmen in Kulturevents und Sozialprojekte investiert. himmelbeet.de

 

Berlin ist bekannt dafür, brachliegenden Industrieflächen einen neuen nachhaltigen Nutzen zu verleihen. Das wohl berühmteste Beispiel ist das Tempelhofer Feld. Mit der Schließung des Flughafens Tempelhof im Oktober 2008 konnte das 355 Hektar große Areal in einen neuen Park mitten im Stadtgebiet umgewandelt werden. Die 250 Hektar große Grünfläche ist sogar größer als der Tiergarten in Mitte. Seit Mai 2010 ist der Park für die Öffentlichkeit zugänglich und seitdem ein einziger Sport- und Outdoorspielplatz für Berliner und Touristen. Kite-Land-Boarder rollen neben Inline-Skatern die ehemalige Startbahn entlang, Drachen steigen hoch in den Himmel und Radfahrer drehen ihre Runden. Auch hier ist ein Gemeinschaftsgarten entstanden, der vom Allmende-Kontor, einem Gartennetzwerk von 900 Hobbygärtnern, gegründet wurde. thf-berlin.de , allmende-kontor.de



Weitere urbane Gärten im Überblick sind auf der U-rban-Gardening-Karte von Seedbomb City zu finden: u-rbangardening.seedbomb.city sowie unter anstiftung.de/urbane-gaerten/gaerten-im-ueberblick

 

Mit kleinen, mit Blumensamen gefüllten Erdbällchen, treiben Projekte wie Seedbomb City die Guerilla-Gardening-Bewegung voran. Immer mehr Bewohner tragen dazu bei, kleine grüne Oasen in der Stadt zu schaffen. Ob auf dem Mittelstreifen einer Hauptstraße, in vernachlässigten Pflanzkübeln oder auf sogenannten „Baumscheiben“ rund um die Stadtbäume – überall ist Platz für ein paar Blumen. Besonders einfallsreiche Gärtner nutzen sogar mit Erde gefüllte Einkaufswagen als mobile Beete. seedbomb.city

 

Wer Urban Gardening einen Schritt weiterdenkt, findet in Permakultur ein System, bei dem die Natur ihren Zauber mit so wenig menschlichen Eingriffen wie möglich walten lässt. Um diese uralte Methode zu erleben geht man am besten ins Café Botanico. Hinter der Fassade eines Neuköllner Altbaus in Rixdorf versteckt sich ein 1000 m² großer Permakulturgarten, in dem Martin Höfft altes, vergessenes und seltenes Gemüse, Obst und Wildkräuter wie Wunderlauch oder Knoblauchrauke anbaut. Die Ernte wird für die Versorgung des zugehörigen, familiengeführten Restaurants verwendet und in saisonale italienische Bio-Gerichte verwandelt - frischer geht es kaum. Um seine Leidenschaft zu teilen, veranstaltet Martin regelmäßig Dinner-Clubs, Gartenführungen und Musikabende. cafe-botanico.de

 

Die Stadt satt machen: Von Indoor-Farmern und Aquaponik-Pionieren

Ob es darum geht, Obst und Gemüse für den Eigengebrauch anzubauen, oder lokale Erzeuger zukunftsfähig zu machen, Urban Farming ist sicher ein Weg nach vorne.

 

Allerdings liegt es nicht nur im Freien im Trend. Wer denkt, dass Gärtnern in geschlossenen Räumen nicht geht, kann sich bei InFarm vom Gegenteil überzeugen.Im Berliner Bezirk Kreuzberg züchtet ein interdisziplinäres Team auf 310 m² Kräuter, Salate, Gemüse und Obst in modularen Hydroponik-Systemen. InFarm brachte als weltweit erstes Unternehmen vertikale Farmen in einen Supermarkt. Mittlerweile beliefert das Startup über 50 Orte in Berlin, von Lebensmittelgeschäften, Hotels, Restaurants (darunter der weltbekannte Berliner Sternekoch Tim Raue), Einkaufszentren und Schulen. Der ambitionierte Plan für 2019: europaweit 1000 Farmen aufbauen. infarm.com , tim-raue.com

 

Als Wahlheimat zahlreicher innovativer Startups ist es nicht verwunderlich, dass in Berlin auch die größte Aquaponik-Farm Europas zu Hause ist. Auf dem wiederbelebten Gelände der historischen Malzfabrik arbeitet ECF Farmsystems auf die Vision hin, der wachsenden Stadtbevölkerung Zugang zu nachhaltigen, frischen und lokalen Produkten zu ermöglichen. In der 1.800 Quadratmeter großen Anlage will der Betreiber ECF aus modularen Aquaponik-Systemen jährlich 25 Tonnen Fisch und 30 Tonnen Gemüse produzieren. Führungen durch die ECF-Farm sind jeden Dienstag und auf Anfrage für private Gruppen für die Öffentlichkeit zugänglich. ecf-farmsystems.com/en , ecf-farm.de

 

Stadtfarm ist ein weiteres Startup, welches uns mit intelligenter urbaner Landwirtschaft in eine neue Ära versetzt und nutzt dafür die riesigen Freiflächen am östlichen Berliner Stadtrand. Dort produzieren sie mithilfe von Aquaponik-Technologie hochwertige, nahrhafte und ultra-lokale Lebensmittel, wie etwa frischen Fisch, Salate und Gemüse der Saison. Die Macher setzen auf Persönlichkeit, laden zu regelmäßigen Führungen und Bauernmärkten und bieten sogar einen Lieferservice an. stadtfarm.de

 

Berlins dritter Aquaponik-Pionier, die Roof Water Farm, baut auf Kreuzberger Dächern Erdbeeren und Fisch an. Das Projekt wird von einem talentierten Forschungsteam der Technischen Universität Berlin realisiert und dient als Testraum für urbane Lebensmittelproduktion und innovative Siedlungswasserwirtschaft. roofwaterfarm.com

 

Urbane Visionen und Visionäre

Was die Berliner wirklich gut können, ist für ihr Recht auf öffentlichen Raum zu kämpfen. Die Stadt ist ein Magnet für einfallsreiche Querdenker, die versuchen, urbane Flächen für alle Bürger bestmöglich nutzbar zu machen.

 

Wenn es nach den Initiatoren von Flussbad Berlin geht soll zwischen Museumsinsel und neuem Humboldtforum ein urbaner Traum Wirklichkeit werden: Schwimmen in der Spree, mitten in Berlin. Geplant ist, den Spreekanal auf einer Länge von 750 Metern zu einem der größten und frei zugänglichen Schwimmbecken zu verwandeln. Eine Biotoplandschaft und ein Schilfbecken dienen dabei der natürlichen Reinigung des Flusswassers. Die Initiative wurde von den Architektenbrüdern Jan und Tim Edler gegründet und reicht bis in die 90er Jahre zurück, eine Zeit, in der alles möglich schien. Nach mehr als zwanzig Jahren kommt der heutige Verein der Umsetzung dieser Utopie sehr nah und möchte einen neuen Ort der Begegnung schaffen, an dem es auch um Themen wie Nachhaltigkeit, Partizipation und Ökologie gehen wird – sicher eines der spannendsten Stadtentwicklungsprojekte Berlins. Zurück an Land will Radbahn die ungenutzte Fläche entlang der U-Bahn-Linie U1 vom Zoo zur Oberbaumbrücke in eine überdachte Fahrradautobahn verwandeln. Der Traum: eine neue urbane Verkehrsfläche sowie einen Raum für zeitgenössische Mobilität, Integration und Begegnung zu schaffen. flussbad-berlin.de , radbahn.berlin

 

Orte des Wandels: Leben, Arbeit und Freizeit neu gedacht

Auch ehemalige Industrieanlagen sind in Berlin Heimstatt für ökologische, soziale und kulturelle Projekte geworden, etwa die ufaFabrik in Tempelhof. Schon 1979 gründeten engagierte Berliner hier ein nachhaltig ausgerichtetes Kultur- und Sozialzentrum. Die Energie stammt aus Blockheizkraftwerken auf dem ehemaligen Fabrikgelände, einige Dächer wurden begrünt und Regenwasser wird in Brauchwasser umgewandelt, was den Trinkwasserverbrauch erheblich reduziert. In ähnlicher Weise entwickelt sich die Malzfabrik in Schöneberg nachhaltig weiter. Zum Areal der historischen Mälzerei gehören ein Gewächshaus und eine urbane Fischfarm, die zusammen die größte innerstädtische Aquaponik-Farm Europas sind. Die Malzfabrik ist ein ökologisches Vorzeige-Projekt, denn die verbrauchsnahe Produktion sorgt nicht nur für frische Produkte, sondern spart auch noch jede Menge Transportenergie. malzfabrik.de , ufafabrik.de

 

Auf dem Gelände der ehemaligen KINDL-Brauerei möchte das CRCLR House eine Welt ohne Abfall schaffen. Als Berlins erstes Zentrum der Kreislaufwirtschaft erforscht das Haus die Wiederverwendung und Neuverwertung von endlichen Ressourcen, die sonst zu Müll geworden wären. In einer einst verlassenen Bierlagerhalle sucht seit 2016 eine Gruppe aus Unternehmern, Aktivisten, Wissenschaftlern, Künstlern, Designern, Hackern, Entwicklern und Startups nach Lösungen für eine Zukunft ohne Ressourcenverschwendung. Die Räumlichkeiten selbst wurden ausschließlich aus wieder nutzbar gemachten Materialien, wie alten Plastikplanen, Bauzäunen und Möbeln vom Flohmarkt umgebaut. Neben einem Co-Working-Space, Künstlerateliers und einem Gemeinschaftsgarten finden hier Events und Performances statt. Im Jahr 2019 soll das CRCLR House um 2,5 Etagen erweitert werden und dient so als Experimentierraum für zirkuläre Architektur in Berlin. Die Vision für 2020: ein Gewächshaus auf dem Dach und Recycling-Werkstätten im Erdgeschoss. crclr.org

 

Das CRCLR House ist nur einer von drei Stakeholdern, die derzeit das von der Schweizer Stiftung Edyth Maryon geförderte VOLLGUT-Areal bilden. Die Stiftung kaufte den Großteil des KINDL-Areals auf und vergab Pacht- und Erbbaurechtsverträge an die Projekte, mit dem Ziel, eine der größten Industriebrachen in Neukölln für einen sozialen, kreativen und ökologischen Gebrauch zugänglich zu machen. Gegenüber der KINDL-Brauerei entwarfen und realisierten 36 Studenten des Natural Building Lab, einer Initiative der Technischen Universität Berlin, das VOLLGUT-Info-Zentrum. Das kreisförmige Gebäude, das ebenfalls nur aus wiederverwendeten Ressourcen wie recycelten Kartons oder Holzbalken besteht, ebnet den Weg für eine zukunftsweisende urbane Architektur. maryon.ch/liegenschaft/vollgut , infozentrale.berlin  nbl.berlin

 

Ein ungewöhnliches Projekt direkt am Spreeufer in Friedrichshain ist das Holzmarkt Gelände, das bis 2010 Standort des legendären Technoclubs „Bar 25“ war. Da das Gelände nach der Schließung verkauft werden sollte, suchten sich die Bar 25-Betreiber einen finanzstarken Partner, nahmen am Bieterwettbewerb teil und bekamen – für viele Beobachter überraschend – den Zuschlag zur Entwicklung des Areals. Der Holzmarkt Genossenschaft geht es nicht nur um ein originelles Immobilienobjekt, sie will hier urbane Utopien verwirklichen. Die Macher wollen Wirtschaft, Kultur und Natur zusammenbringen und ließen ein kreatives Dorf mit öffentlichen Freiraum entstehen, das seinesgleichen sucht. Es umfasst einen Marktplatz, eine Hausbrauerei und -bäckerei, Musikstudios und Plattenlabels, einen Kindergarten, Veranstaltungshallen für Livekonzerte, Theaterstücke oder Filmvorführungen, die 'Pampa' zum Sonnen am Flussufer, das Restaurant Fame und der Club Kater Blau. holzmarkt.com , katerschmaus.de , katerblau.de

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